Im Maschinen- und Anlagenbau sind Ingenieurinnen weiterhin deutlich unterrepräsentiert, auch wenn der Frauenanteil unter den Ingenieurbeschäftigten von rund 9 Prozent (2019) auf zuletzt gut 11 Prozent (2022) gestiegen ist. Es ist daher eine drängende Aufgabe, mehr Frauen für technische Berufe zu gewinnen und im Unternehmen zu halten.
Vor diesem Hintergrund hat die IMPULS-Stiftung des VDMA eine Studie beauftragt, die erstmals das Scharnier Studium – Berufseinstieg und die ersten Beschäftigungsjahre von Ingenieurinnen analysiert. Kernbotschaft der Studie, die von dem Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen erstellt wurde, ist, dass es die eine Lösung zur Erhöhung des Ingenieurinnenanteils nicht gibt. Vielmehr muss an vielen Stellschrauben entlang des Bildungs- und Arbeitslebens gedreht werden.
Vorbilder und eigene Einblicke
„Wir brauchen mehr Schülerinnen und Studentinnen, Facharbeiterinnen und Ingenieurinnen, die in unserer Industrie Zukunft produzieren wollen. Dabei ist es wichtig, die Vielfältigkeit und Sinnhaftigkeit des Ingenieurberufs zu vermitteln – denn der Maschinenbau entwickelt Zukunftslösungen, von erneuerbaren Energien über die klimaneutrale Produktion bis hin zur nachhaltigen Ernährung der Weltbevölkerung.“, erklärt Henrik Schunk, VDMA-Vizepräsident und Vorsitzender des Kuratoriums der IMPULS-Stiftung.
Die Studie zeigt, dass Unternehmen, die Praktika, Exkursionen oder Abschlussarbeiten für Studentinnen anbieten, erfolgreicher beim Rekrutieren sind. Die befragten Studentinnen und Ingenieurinnen äußern zudem das Bedürfnis nach sichtbaren weiblichen Vorbildern. Solche Vorbildrollen können von Unternehmen mittels Mentoringprogrammen, Ingenieurinnen-Netzwerken oder Vorträgen auf Fach- und Berufsmessen sowie an Hochschulen gefördert werden.
Rekrutierung profitiert von gezielter Ansprache
Auch die inhaltliche und visuelle Gestaltung der Unternehmenswebsites und der Stellenausschreibungen gehört zu den empfohlenen Stellschrauben. Frauen sind auf Unternehmenswebsites oft unterrepräsentiert, wie die Studie zeigt. Auf jeder zehnten untersuchten Website wurde sogar keine einzige Frau abgebildet. Die aktive Ansprache von Frauen in der Rekrutierung wird ebenfalls bisher kaum als strategisches Instrument genutzt.
„Ich kenne beeindruckende Beispiele von Unternehmen, die zeigen, dass Frauen mit Kompetenz und viel Freude in der Branche arbeiten können. Das klappt, wenn es von oben gewollt ist und durch konkrete Maßnahmen begleitet wird. Zögerlichkeit kann sich in diesem Feld heute keiner mehr leisten.“, erklärt Prof. Dr. Ingrid Isenhardt, Akademische Direktorin am WZL der RWTH Aachen und eine der Studienautorinnen.
„Change“ in der Unternehmenskultur
Der notwendige „Change“ muss laut Studie auch im betrieblichen Alltag der Unternehmen ankommen. Dies reicht von der Willkommenskultur beim Einstieg von Ingenieurinnen, dem Mindset von Beschäftigten und Unternehmensleitungen bis hin zur Familienfreundlichkeit und dem Fördern von weiblichen Fach- und Führungskarrieren. Die Studie macht deutlich, dass sich Ingenieurinnen noch immer mit Hindernissen bezüglich der gleichberechtigten Anerkennung von Fachkompetenzen, der Karrieregestaltung oder der Vereinbarkeit von Beruf und Familie konfrontiert sehen.
„Politik, Gesellschaft und Wirtschaft haben kein Erkenntnis-Problem mehr. Im eigenen Handlungsraum sind wir alle zur Umsetzung aufgefordert. Der Wandel wird sicher kein Selbstläufer, aber ein Weiter-so ist auch keine Option – individuelle Lebenschancen, Fachkräftemangel, Innovationsfähigkeit und die großen Aufgaben, vor denen wir als Land und Gesellschaft stehen, definieren den Handlungsdruck.“, so Hartmut Rauen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des VDMA.
Onlinecheck für Unternehmen
Das Studienteam des WZL der RWTH Aachen hat für die Studie 49 Ingenieurinnen des Maschinen- und Anlagenbaus befragt. Zur Identifikation potenzieller Handlungsfelder wurden die Web-Auftritte von 90 Unternehmen sowie in einer Begehungsstudie die Arbeitsgegebenheiten in drei beispielhaften Unternehmen analysiert. Mithilfe der Ergebnisse der Studie wurde ein Onlinecheck entwickelt, der sich an die Praxis richtet. Unter www.womengineers.de können Unternehmen ihren Handlungsbedarf ermitteln und eine Vielzahl an Empfehlungen abrufen.
„Die Studienergebnisse zahlen in die Aktivitäten des VDMA ein“, betont Rauen mit Blick auf weitere Verbandsaktivitäten.
Geplant sind u.a. eine öffentliche Tagung, Erfahrungsaustausch-Veranstaltungen für Unternehmen mit den VDMA-Landesverbänden, das Präsentieren von Role-Models aus dem Maschinenbau sowie die Schaffung von Kontaktpunkten zwischen Unternehmen und jungen Ingenieurinnen.
Fachkräftemangel und Lösungen
Nur noch jedes dritte Unternehmen kann Stellen für Ingenieurinnen und Ingenieure wie geplant besetzen, wie aus der letzten VDMA-Ingenieurerhebung von November 2022 hervor geht. Für die Mehrheit der Unternehmen ist dies nicht zeitnah und/oder mit den geplanten Qualifikationen möglich.
Die Nachfrage nach Ingenieurinnen und Ingenieuren hat im letzten Jahr ein neues Rekordniveau erreicht. Nie wurden mehr offene Stellen im Maschinen- und Anlagenbau sowie gesamtwirtschaftlich ausgeschrieben. Auch Anfang dieses Jahres übersteigt die Nachfrage das Angebot deutlich.
„Doch ein gutes Signal für die Zukunft ist: Maschinenbau ist bei den Studienanfängern mit einem Frauenanteil von rund 25 Prozent unter den ingenieurwissenschaftlichen Kernfächern am beliebtesten“, so Rauen.